Anklage als Kriminelle Vereinigung: Generalstaatsanwaltschaft München gegen die Letzte Generation

149 Seiten Anklageschrift gegen 5 Menschen im friedlichen Protest - UN warnt vor Gefährdung der Menschenrechte

 

München, 24.03.2025 − Die Generalstaatsanwaltschaft München erhebt Anklage gegen fünf Menschen wegen ihres friedlichen Engagements bei der ehemals Letzten Generation. Ihnen wird vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung “Die Letzte Generation” gebildet zu haben, die auf das Begehen von Straftaten gerichtet gewesen sei.

Während die Klimakrise eskaliert und erneuter Faschismus unsere Welt überschatten könnte, ist die Anklage als ein Angriff auf zivilgesellschaftliches Engagement als einen Eckpfeiler der Demokratie zu werten. 

 

Die GenStA München hatte wegen desselben Verfahrens bereits im Mai 2023 Mitglieder der Letzten Generation bei Hausdurchsuchungen mit gezogener Waffe aus dem Schlaf gerissen, Gelder der Bewegung beschlagnahmt, die Website gesperrt und darauf rechtswidrig veröffentlicht, die Letzte Generation sei bereits eine kriminelle Vereinigung [1], sowie das Pressetelefon über Monate abgehört [4]. Tausende Menschen solidarisierten sich in Protesten und Stellungnahmen, spendeten oder zeigten sich selbst als Teil der vermeintlichen kriminellen Vereinigung an [2,3]. Zahlreiche Organisationen und NGOs kritisierten das Vorgehen und Journalist*innenverbände gehen gerichtlich gegen die Abhörmaßnahmen vor.[4]

 

Fünf UN-Sonderberichterstatter*innen äußerten im Oktober in einem gemeinsamen Brief an die Bundesregierung starke Bedenken gegen die Anklage und kritisierten das Vorgehen der Ermittlungsbehörden. Sie sehen in der Verfolgung der Letzten Generation als kriminelle Vereinigung einen Missbrauch des Straftatbestands zur Sanktion von zivilem Ungehorsam und darin eine Gefahr für die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland.[5] Der UN-Sonderberichterstatter Michel Forst bezeichnete diese Art von Repressionen gegen Klimaaktivist*innen als „große Bedrohung für die Menschenrechte und die Demokratie in Europa“.[6 (S. 2), übersetzt]

 

Dennoch folgt nun die nächste Stufe der Eskalation durch die Generalstaatsanwaltschaft: Die Anklage des Verfahrens zum Landgericht München I gegen Carla HinrichsWolfgang Metzeler-KickChristian BläulImke Bludszuweit und Dr. Ingo Blechschmidt. [7] Nach welchen Kriterien ausgerechnet diese fünf Personen ausgewählt wurden, ist nicht ersichtlich.

 

Christian Bläul zum Verfahren: „Ich habe mich an Ölpipelines geklebt, um für den Schutz meiner Kinder zu protestieren. Meinen Namen habe ich überall korrekt angegeben; ich laufe der Polizei nicht weg. Statt wegen konkreter Proteste zu ermitteln, hat die Staatsanwaltschaft jedoch unnötige Details wie das Parfum meiner Frau dokumentiert und sogar die Telefone meiner Kinder überwacht.“

“Milliardenschwere Konzerne und politische Think Tanks nutzen viel Geld und Einfluss, die Gesellschaft davon zu überzeugen, die Klimakrise sei nur eine Frage des Geschmacks; ich will nur die Wahrheit nicht verstummen lassen, dass diese Krise leider eine existenzielle Bedrohung für uns alle ist.”

 

„Was tut man, wenn alles auf dem Spiel steht? Man tut sich zusammen und versucht, Alarm zu schlagen!“, erklärt Carla Hinrichs ihre Motivation. „Dafür werden wir angeklagt. Wir friedlich protestierende Menschen sollen für das Überbringen der schlechten Nachrichten verurteilt werden, für das Beharren auf Gerechtigkeit und dafür, dabei nicht allein gewesen zu sein. Ist das gerecht?“

 

Große Sorgen äußert auch Zoë Ruge, Sprecherin von Menschen gegen Öl, einer verfahrensbezogenen Solidaritätskampagne des RAZ e.V., über die Folgen für zivilgesellschaftliches Engagement generell: “Die Anklage gegen weitere Unterstützer:innen der Letzten Generation macht uns Angst, weil sie die ganze Zivilgesellschaft betrifft: Unser Grundrecht auf Versammlung und Vereinigung steht hier auf dem Spiel. Diese Vorgehensweise sägt an den Grundpfeilern unserer Demokratie.” 

Die Kampagne hat deshalb heute Morgen eine Petition gegen das Verfahren an die Generalstaatsanwaltschaft München sowie die Justizministerien des Bundes und des Landes Bayern gestartet [8] und ruft zu Spenden an den Umwelt-Treuhandfonds für die Verfahrenskosten auf.

 

 

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Quellen

[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/vier-durchsuchungen-in-berlin-bundesweite-razzia-gegen-letzte-generation--zunachst-keine-festnahmen-9867452.html 

[2] https://www.spiegel.de/panorama/letzte-generation-spendenflut-nach-razzia-hunderte-demonstrieren-in-muenchen-a-8e324086-1da7-4f6d-9348-cd51d1e3786b 

[3] https://www.stern.de/politik/deutschland/-letzte-generation---mehr-als-1300-unterstuetzer-zeigen-sich-selbst-an-33046220.html 

[4] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/pressetelefon-ueberwacht-letzte-generation-verfassungsbeschwerde-bverfg-129-stgb 

[5] srdefenders.org/germany-criminal-proceedings-and-investigations-against-members-of-climate-action-group-letzte-generation-joint-communication/ 

[6] https://unece.org/sites/default/files/2024-02/UNSR_EnvDefenders_Aarhus_Position_Paper_Civil_Disobedience_EN.pdf

[7] Screenshot der Anklage siehe Pressematerial

[8] https://weact.campact.de/p/menschengegenoel

 

04.03.2024: Anklage Kriminelle Vereinigung rückt näher - Aufruf zur Stellungnahme


Seit Monaten kündigt die Staatsanwaltschaft Neuruppin an, gegen 5 Unterstützer:innen der Letzten Generation Anklage erheben zu wollen. 
Ihnen wird vorgeworfen, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein. Zum Einsatz kommt hier der Paragraph 129 StGB, der eigentlich der Bekämpfung organisierter Kriminalität dienen soll. Statt der Bezeichnung “Mafia-Paragraph” gerecht zu werden, wird er erstmals im “Kampf” gegen gewaltfrei protestierende Klimaaktivist:innen angewandt.
Nun erhielten die Anwält:innen der Beschuldigten Post von der Staatsanwaltschaft mit der Aufforderung, innerhalb einer Frist von vier Wochen Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. 
Unter www.menschengegenoel.org ist jetzt die Zivilgesellschaft dazu aufgerufen, Position zu beziehen. 

Die deutsche Regierung lässt in Komplizenschaft mit den fossilen Konzernen dieses Landes die Klimakatastrophe eskalieren. Unterstützer:innen der Letzten Generation stellen sich dem entgegen, haben Öl-Pipelines den Hahn zugedreht, den Flugverkehr gestoppt und den Alltag unterbrochen. 

Darunter auch Mirjam Herrmann (26), Henning Jeschke (24), Lukas Popp (25), Jakob Beyer (30) und Edmund Schultz (60).

Nun sollen sie angeklagt werden. Nicht für ihre konkreten Taten der Zivilcourage - den Flugverkehr aufzuhalten, Pipelines zuzudrehen und den Alltag zu unterbrechen - sondern weil sie sich mit vielen anderen zusammengetan haben, um in der Krise gemeinsam etwas zu verändern. 

 

Das drastische Vorgehen gegen Klimaaktivist:innen steht unter großer Kritik: Green Legal Impact, Das Deutsche Institut für Menschenrechte, Die internationalen Organisationen Amnesty International und Civicus sowie viele weitere Organisationen und Expert:innen zeigen sich besorgt. Die Konsequenzen des Verfahrens treffen nicht nur die Beschuldigten. Die Ermittlungen im 129er Verfahren sorgen dafür, dass Klimaaktivismus mit organisierter Kriminalität assoziiert und somit stigmatisiert wird. Dadurch werden Menschen davon abgeschreckt, von ihrem Recht auf Protest und Meinungskundgabe Gebrauch zu machen.

Michael Forst, UN-Sonderberichterstatter für den Schutz von Umweltschützern, erklärte Ende 2023 in Hinblick auf den Umgang Deutschlands mit friedlichem Protest: “Ich glaube, was die Regierungen beunruhigt, was sie dazu veranlasst, Klimabewegungen wie in Deutschland als kriminelle Organisationen einzustufen, ist nicht so sehr die vermeintliche Illegalität ihrer Aktivitäten [...] sondern die Reichweite ihrer Stimme. Es ist die Tatsache, dass sie hörbar sind, gehört und beachtet werden.” Er sei “zutiefst besorgt, eine derartige Erosion des zivilgesellschaftlichen Raums und Bedrohungen gegen Umweltschützer in Europa und auch in Deutschland, mitzuerleben“ [1] In einem aktuellen Bericht vom Februar 2024 bestärkt er die “große Gefahr für Menschenrechte und Demokratie” und betont: “Anstatt Umweltschützer:innen zu kriminalisieren, sollten Regierungen die Ursachen für ihre Mobilisierung angehen.” [2]

Zoë Ruge, Mitgründerin des RAZ e.V.i.G. [3]  erklärt: “Protest und Meinungskundgabe, auch wenn es stört, sind existenzielle Bestandteile einer lebendigen  Demokratie und für diese unverzichtbar. 

Friedlicher Klima-Protest ist lebensnotwendig! Ermittlungen nach §129 StGB in diesem Zusammenhang und damit einhergehende Maßnahmen, wie Hausdurchsuchungen, das Beschlagnahmen der Website der Letzten Generation oder das Abhören des Pressetelefons, sind klare Grenzüberschreitungen, die an den Grundfesten unserer Demokratie rütteln.”

Weiter führt sie aus: “Der § 129 StGB wird instrumentalisiert, um friedlichen Protest zu unterdrücken, und vom klimapolitischen Versagen der Bundesregierung und der eigentlichen Gefahr abzulenken. Das ist beängstigend. Aber diese Gesellschaft darf und wird sich nicht davon abhalten lassen, die Stimme zu erheben. 

Wir stehen ein für Gerechtigkeit, Demokratie und Menschlichkeit. Wir sind alle zusammen Menschen gegen Öl - Alle, die ihr Schicksal nicht denen überlassen wollen, die es zerstören. Alle, die hinter dem verfassungsmäßigen Schutz unseres Lebens stehen und fossile Konzerne und die Regierung mit ihren Profit- und Machtinteressen nicht durchkommen lassen wollen.”

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin leitet nun die letzten Schritte ein, um 5 Menschen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung anzuklagen. Die Anwält:innen der Beschuldigten haben die kompletten Akten erhalten und nun vier Wochen Zeit, um hierzu Stellung zu nehmen. Am 28.3. läuft die Frist ab, anschließend wird die Anklage an das Gericht weitergereicht und an die Betroffenen geschickt. 

Auf der Website von Menschen gegen Öl gibt es nun die Möglichkeit als Teil der Zivilbevölkerung - und somit perspektivisch ebenfalls Betroffene:r - Stellung zur geplanten Anklage zu nehmen. Die ausgefüllten Formulare werden dann direkt an die Staatsanwaltschaft Neuruppin geschickt und müssen, als Teil der Akte, von Staatsanwaltschaft und Gericht gelesen werden. 

Die Wirkung eines solchen gesellschaftlichen Auflehnens ist dabei nicht zu unterschätzen. Die Entscheidung des Gerichts im Verfahren hängt aufgrund des weiten Tatbestandes von § 129 StGB auch stark von der öffentlichen Meinung zu dem Thema ab. Eine aktive Zivilgesellschaft kann den Diskurs mitbestimmen und so Einfluss darauf nehmen, wie und ob friedlicher Protest für unser aller Überleben bestraft wird. 

Jetzt ist es also an uns allen, die Werte einer lebendigen und wehrhaften Demokratie hochzuhalten.
Wir tauschen uns aus, kommen zusammen und werden laut: gegen Öl, gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Für eine lebendige Demokratie und eine sichere Zukunft für uns und nachfolgende Generationen.

[1] Green Legal Spaces 2023

[2] UNSR_EnvDefenders_Aarhus_Position_Paper_Civil_Disobedience_EN.pdf (unece.org)

[3] RAZ - Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft e.V. (raz-ev.org)